Das Bild vom Moor

Das Bild vom Moor damals und heute

Das Moor gilt heute vielfach als charakteristischer Bestandteil der niedersächsischen Landschaft, als ein letzter Rest natürlicher bzw. naturnaher Landschaft und Lebens- und Rückzugsraum in ihrem Bestand gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Auch seine Bedeutung als unersetzbares natürliches Forschungsarchiv oder als Zeugnis früherer Kulturen und vergangener Lebens- und Wirtschaftsweisen wird gerne betont.

In früheren Zeiten dagegen empfand man das Moor lediglich als Zeichen einer tiefstehenden Kultur, äußerster Rückständigkeit und geistigen und körperlichen Elends der An- und Bewohner.

Von diesem Standpunkt aus erklärt sich der vehement aufgenommene Kampf gegen die Naturlandschaft Moor, in dem aber erst die Landesplanung des 19. und 20. Jahrhunderts einschneidende Veränderungen mit sich brachte.

Dem Menschen erschienen die Moore und Sümpfe lange als düster, unheimlich und abweisend, insbesondere im Herbst, wenn der Nebel schwer über der Landschaft hing. Wanderer waren häufig seltsamen Empfindungen ausgesetzt:

„In der That erinnert das Moor immer wieder an das Meer. Sein Anblick weckt dasselbe Gefühl der Unendlichkeit… Es ist zum Melancholischwerden!“ (Poppe 1888, 206).

Das Bild vom Moor wurde geprägt von abergläubischen Vorstellungen und heimlichen Ängsten: die nächtlichen Irrlichter, der Gedanke an Moorleichen, sonderbare Pflanzen wie der fleischfressende Sonnentau, der endlos schwankende und unberechenbare Sumpf – Facetten einer Landschaft, auf der bis zum Horizont kein Haus, kein Strauch und nur hin und wieder Heidekraut, einige krüppelige Baumgestalten, ein paar Binsen und harte Gräser zu sehen waren.

All das führte zu einer Sonderstellung der Moore in Volksglauben und Kunst. Das Moor entzog sich als letzte ursprüngliche Naturlandschaft lange dem Zugriff der menschlichen Hand. Die Marsch hatte von jeher Siedler angelockt. Das Moor dagegen flößte Schauder ein.

Die Siedlungsentwicklung in Nordwestdeutschland als dem moorreichsten Gebiet im deutschsprachigen Raum vollzog sich zunächst an den Mooren vorbei. Oft waren es nur „Geächtete“, die die vermeintliche Stätte der Geister und Irrlichter aufsuchten. Besiedelt, kultiviert und verkehrstechnisch erschlossen wurden vorrangig die umliegenden Wald- und Geestgebiete oder Sandinseln und die von Dünenstreifen gesäumten Bach- und Flußufer in den Mooren selbst. Das Innere der Moore aber blieb vorerst im wahrsten Sinne des Wortes Öd-Land (= nichtkultiviertes Land).

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Als man den Wert des Torfes als Heizmaterial erkannte, wurde das Moor bald nicht mehr als „Fluch Gottes“ empfunden, sondern als „Segen für die Menschen“. Das dennoch jahrhundertelang nahezu ausschließlich der Torfstich die Nutzung des Moores bestimmte, lag nicht zuletzt an der Unwirtlichkeit und absoluten Verkehrsfeindlichkeit dieser Gebiete. Fahrzeuge und Zugtiere vermochte die Hochmoordecke nicht zu tragen.

„(S)elbst ein Fußgänger mußte von einem Bult zum anderen treten oder springen. In den Schlenken fand sein Fuß keinen Halt. Es sei denn, er überquerte das Moor im Winter, bei strengem Frost. Im Sommer oder Herbst konnte nur einen Pfad finden, wer in der Lage war, tragfähige Stellen am Bewuchs zu erkennen“ (Hayen 1979. 17).

Des ungeachtet übten die Moore, allein aufgrund ihrer Existenz, einen wesentlichen Einfluss auf die sie umgebende und im Wachsen begriffene Kulturlandschaft aus.

„Sie lagen als Hindernisse im Gelände und trennten die einzelnen Landesteile voneinander. Es ist daher kein Wunder, daß sie – bei größerer Ausdehnung – als Kulturscheide wirkten. Noch heute verlaufen politische und volkskundliche Grenzen vielfach durch die Mitte der Moore. (Sie trennten und trennen) bäuerliche Bevölkerungsgruppen, deren Eigenarten, Gebräuche, Mundarten und konfessionelle Bindung deutlich verschieden sind … Sie haben zu ihrem Teil die Bevölkerung mitgeformt und eine Reihe hervorstechender Eigenarten überhaupt erst hervorgebracht“ (Hayen 1979, 17).

Aberglauben. Unwirtlichkeit und Verkehrsfeindlichkeit verhinderten nicht, dass der Mensch, beginnend mit dem Torfstich, nun seinerseits auf die Moore einzuwirken begann. Die Erschließung, Kultivierung und Besiedlung nahm den Mooren viel von ihrer Unheimlichkeit und Gefährlichkeit, aber auch den Reiz des Unberührten:

„Gerade im moorreichsten Gebiet Deutschlands, dem nordwestdeutschen Flachland, findet der Reisende heute auf den Mooren fast nur noch Grünland oder Äcker anstelle ihrer natürlichen Vegetation. Nur schwarzer, torfiger Boden und regelmäßige tiefe Entwässerungsgräben zeigen, daß man ein Moor durchfährt“ (Kaule 1976, 3).

Das Moor, welches noch immer unsere Vorstellungskraft bewegt, ist heute eine Legende, der Mensch hat es „trockengelegt, verpulvert, verbrannt“. Das aktuelle Bild vom Moor wird eher bestimmt durch volkswirtschaftliche Ansprüche auf der einen und zunehmend ästhetisch-naturkundlichen auf der anderen Seite.

„Jede Epoche schafft sich das ihrer geistigen Haltung entsprechende Landschaftsgefühl, und die von den Sinnen aufgenommenen äußeren Formen der Landschaft werden daher nur so weit in das Gefühlsleben des Menschen übertragen, als es der geistige Inhalt der Zeit und ihre Entwicklungsrichtung zulassen. So wird es erklärlich, daß manche Landschaft Generationen hindurch überhaupt keinen nennenswerten Reflex im menschlichen Gefühlsleben auslöste, sondern nur mit dem äußeren Auge gesehen wurde und daß ein und dieselbe Landschaft zu verschiedenen Zeiten vielfach eine geradezu gegensätzliche Wirkung auszuüben vermocht hat.“ (Trüper 1928, 9).

In den wechselnden Bildern vom Moor spiegelt sich dieser Sachverhalt getreu wieder. Empfand man lange Zeit nur die Landschaften als schön,

„die für die menschliche Gemeinschaft nutzbringend, d. h. bebaut und ertragreich waren“, (den Menschen also) „in seiner Betätigung nicht hinderte(n), sondern seinen Zwecken dienstbar war(en)“ (Trüper 1928, 11),

so rückt heute die Erkenntnis von der verloren gehenden landschafts- und menschenprägenden Eigenart der Moore neben den Nutzungsaspekten (z.B. Schafhaltung, Imkerei, Torfabbau, Landwirtschaft, Tourismus) verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit (Text: Wilfried Wördemann).

Literatur:
1. Hayen, Hajo: Moore als Geschichtsquelle. In: Rosemarie Pohl-Weber (Hg.): Das Moor. Seine Nutzung einst und jetzt. Bremen 1979. S. 16 – 25.
2. Kaule, G./Göttlich, Kh.: Begriffsbestimmungen anhand der Moortypen Mitteleuropas. In: Göttlich, Karlhans (Hg.): Moor- und Torfkunde. Stuttgart 1976. S. 1 – 21.
3. Poppe, Franz: Zwischen Weser und Ems. Land und Leute in Oldenburg und Ostfriesland. Oldenburg u.a. 1888.
4. Trüper, Johann Helmut: Die norddeutsche Landschaft in der Auffassung der neueren Zeit. Literaturhistorische Studie. Jena 1928.