Auch in jüngster Zeit wurden in der Diepholzer Moorniederung und anderen Teilen Niedersachsens immer wieder Nutztiere durch Wölfe gerissen. Für viele besorgte Bürger stellt sich die Frage, wie sieht es eigentlich mit der Gefährlichkeit des Wolfes für den Menschen aus?
Dort, wo Wölfe auch in den letzten 170 Jahren regelmäßig vorkamen, wurden Wolfsvorkommen auch hinsichtlich dieser Frage untersucht. Übergriffe auf Menschen oder Gefährdungssituationen wurden teilweise dokumentiert und in Beziehung z.B. zur Größe der Wolfspopulation und anderen Bedingungen wie der Beuteverfügbarkeit gesetzt.
Der deutsch-kanadische Wildbiologe Prof. Dr. Valerius Geist, Universität Calgary, nennt aufgrund seiner Erfahrungen in Kanada bestimmte Bedingungen, unter denen Wölfe gefährlich oder ungefährlich sind: „Wölfe sind nicht gefährlich, wenn sie satt sind aufgrund erfolgreicher Beutejagd auf reichlich vorhandenes Wild, wo sie entweder wenig Kontakt mit Menschen haben oder wo sie gejagt werden“, so Prof. Dr. Geist. Auch trügen ausreichend große Lebensräume ohne verfügbares Nutzvieh zur Ungefährlichkeit der Wölfe bei.
Gefährlich werde es für den Menschen, wenn für die Wölfe eine Nahrungsknappheit durch Beutetiermangel oder auch aufgrund des Alters, einer Verletzung oder Krankheit auftrete. Eine ständiger Kontakt mit Menschen z.B. auf einem Campingplatz oder einer Müllhalde könne die Situation sehr fördern, dann könnten auch „satte“ Wölfe gefährlich werden. Wölfe begännen dann, Menschen als alternative Beute zu erkunden.
Prof. Dr. Geist beschreibt sieben Phasen, die zu einer Attacke von Wölfen auf Menschen führten. Dazu gehöre zunächst das Annähern an menschliche Siedlungen infolge von Nahrungsmangel, zunächst nachts, später auch tagsüber; dann das Attackieren aller Arten des Viehs, insbesondere auch der Hunde, schließlich auch des Großviehs. Gerissenes Vieh werde u.U. durch Knurren gegen Landwirte oder Tierhalter verteidigt. Bei sich weiter entfaltender Dreistigkeit gingen die Wölfe dann dazu über, die Nähe zu den Menschen zu suchen und ihn so zu erkunden. Eventuell käme es zunächst zu spielerischen Übergriffen, bevor ein gefährlicher Angriff erfolge. Dieser sei dann aber im Grunde vorhersehbar und sehr wahrscheinlich.
Prof. Dimitij Iwanowitsch Bibikow (verstorben), international bekannter Säugetierexperte und Wolf-Spezialist von der Akademie der Wissenschaften zu Moskau, war Kenner der u.a. auch der russischen Wölfe. Er stellte heraus, dass die Gefahr für einen Menschen, von einem Wolf angegriffen zu werden, gering ist und außergewöhnliche Umstände voraussetze. Zu rechnen sei damit in Zeiten, wenn die Nahrung knapp und der Bestand hoch sei und gleichzeitig die Bekämpfungsmaßnahmen nachließen. Letzteres sei wichtig, denn bei einzelnen Tieren verliere sich allmählich die Furcht vor den Menschen, die die aggressiven Anlagen hemme. „Aber die Gefahr muss man immer im Auge haben und bei der Strategie einer Lenkung der Wolfspopulationen berücksichtigen, und man darf mit der Bestandskontrolle nicht nachlassen“, so Prof. Bibikow.
Der bekannte Zoologe und Ethnologe Dr. Erik Zimen (verstorben 2003) forschte nach 1970 u.a. an den italienischen Wölfen der Abruzzen. Er war davon überzeugt, dass die meisten Berichte von Wolfsübergriffen auf Menschen keiner kritischen Überprüfung standhalten. Das war auch seine Erfahrung in Italien. Klar war für ihn aber auch, dass bei aller Neigung zur Übertreibung und Phantasie die einschlägigen Meldungen aus den Jahrhunderten zu zahlreich, die Furcht vor dem Tier zu groß und die Stellung in der Mythologie vergangener Zeiten zu dominant war, als das man alle Berichte von Wolfsangriffen auf Menschen in den Bereich Fabel und Legende verweisen könnte. Als Bedingungen, unter denen man sich Wolfsangriffe auf Menschen vorstellen kann, nannte er Kriege, Seuchen und Hungersnöte ohne geregelte Leichenversorgung, eingeschränkte Bejagung und Beutetiermangel.
Fazit: Von einer generellen Ungefährlichkeit der Wölfe für den Menschen, wie sie nicht selten in der Öffentlichkeit dargestellt wird, kann aus der Sicht der Forschung keine Rede sein. Es ist damit zu rechnen, dass Wölfe hier und da illegal (wenn vielleicht auch ungewollt) angefüttert werden und somit eine Gewöhnung an die Nähe zum Menschen eintreten wird. Das führt nicht nur zu Verlusten beim Vieh, sondern kann auch für Menschen gefährlich werden. Politik und Verwaltung sind noch weit davon entfernt, an eine geregelte Bejagung zu denken, das zeigt die öffentliche Diskussion. Vor diesem Hintergrund kann man nicht ganz unbesorgt sein.
Literatur:
1. Geist, Valerius: „Wann werden Wölfe gefährlich für die Menschen?“ Beitrag auf der Homepage „Wolf Education International“ aus dem Jahr 2007
2. Bibikow, Dimitrij I.: Der Wolf, Ziemsen 1990
3. Zimen, Erik: Der Wolf – Verhalten, Ökologie und Myhos, München 1990
Aus Sicht der Forschung kann die fehlende Bejagung neben anderen Faktoren dazu beitragen, dass Wölfe zur Gefahr für den Menschen werden können.